Literaturpreis für die Projektgeberin Anni Mathes

Erneut ein Literaturpreis

für Anni Mathes

Literaturpreis in Molln/OÖ


Beim literarischen Wettbewerb für Kurzgeschichten in Mundart hat Anni Mathes mit ihrer Mundart-Prosa „Fantasie“ den 1. Platz belegt.


Zur feierlichen Übergabe des Literaturpreises wurden die Gewinnerin und auch neun weitere prämierte AutorInnen im Rahmen eines dreitägigen Festes der Volkskultur am 23. Sept. 2023 nach Molln/OÖ zu einem Festabend eingeladen. Moderator und Mitglied der Jury, Dr. Klaus Huber sprach in seiner Laudatio von einer großartigen poetischen Prosa und einem berührenden Klangerlebnis in der Bludescher Mundart, als Anni im bis zum letzten Platz gefüllten Festsaal des Nationalpark-Museums die Kurzgeschichte eines einsamen, aber hoffnungsfrohen, kleinen Mädchens vorgetragen hatte und dafür großen Applaus ernten durfte. Ein Teil des Siegergeldes kommt Annis Literatur-Projekt «Stille Laute – Internationaler, literarischer Wanderweg» zugute.


Autorinnen aus Oberösterreich und Tirol landeten mit ihren ausgezeichneten Texten auf Platz 2 und 3.


...... und hier ist der prämierte und berührende Siegertext in der alemannischen Mundart, sowie die Übersetzung in die Schriftsprache nachzulesen:

Fantasie   

                                                                                         

Si trommt sich as Ufer, doch an sichra Hafa ischt ära no lang net sichr, dära Klina i iram viil z´grooßa, blüamlata Pyjama. Si sei nooch as Wassr baut. Sägan si, dia, wo alls bessr wissan. Gfanga i ma Schtrudl, wo si im Dunkla all widr ahi-züücht, vrschwindan Kindrtääg i da Wälla. Hilfe. Kääne uf Wääg, egal, wo si ummi-luagat und ani-loosat. Alls ummasus. Übrall blinde Ooga, taube Oora. Si züücht sich zruck. Jeda Taag a bitzle mee. D Schprooch scho wit awäck.

D Nacht ischt am dunklschta, bevor´s taagat. Doch uf Dauer kaa sälbscht des Päch vo raaba-schwarza Nächt net übrläba. S Morgaroot loot sich net ussi-schiaba. Es kunnt so sichr wia s Amen i dr Kircha.

Trotz regt sich. A Sooma-Körnle vo uufgwüalta Gedanka wachst inra Schala. Gschwind züücht si no ämool d Decke übra Kopf. Zuadecka sei normal. Sägan si, dia wo alls bessr wissan. Was ischt normal? Normal sei die Masse, sägan si.

 

Es ischt net s Allää-Sii, wo ära zum Schaffa macht. Es ischt a Gfüül, dass si trotz viila Lüt drumm ummi muus-allää doo schtoot.

Doch si bruucht net jömmra, kaa doch all widr Oogablick volla Frööd erläba. Si mag da Wääg vo dr Sunna dura Taag, moolat Wolkabildr, Schmettrling und Laufkäfr, sogäär i d Luft. Sammlat lääre Schnägga-Hüüsle und wett fürchtig gärn ihischlüüfa. All Joor im Mai bringt si kilowiis Maikäfer uf d Gmäänd. S eerscht Taschagält.

Kaa sich am Nomittag i da Voglschtimma ganz vrlüüra und i bsundrigs hälla Tääg nooch am Räga mit grüana Gummischtifile i d Wassrlacha jucka und gigra, wenn si an andrs Kind aaschprütza kaa.

Eppanamool schpringt si drübr und schtellt sich vor, dass si schtärba möößt, wenn si´s net schafft. Fürchtat wädr Tod no Tüüfl, solang ´s häll ischt.

 

Uuhäämlig ischt abr des kretzig Rüafa vo da Graureier, wenn si d Nächt zmool schpaaltan.

Net zum Beschriiba ischt des Dunkl, wenn si äfach widr Päch hot. Uusglifrat sii hintrloot Schpuura. Nacht für Nacht prallan Fläscha ufanand. Fläscha, wo kä änzige ummanand ischt uf am Nachtkäschtle us Kriasi-Holz. Wenn Glas schpringt, tschäpparats fürchtig. Fingerle mit aaknabbrata Nägl boran sich i d Oora. A varruckte Kline. Si hot blooß widr trommt. Hot äfach zviil Fantasie. Sägan si. So gärn ischi i iare äägna Gschichta vrsunka, i dia Taag-Trömm, höfile untrschtützt vo dr Mama. A vrhärmte Frau, wo trotz am Hungrtuach all widr a Buach us am Ärml zaubrat. Si schpüürt, was dr Klina wool tuat.


Und übrall redan d Wänd: „Vrzell üüs blooß kä Märchen.“ Nu d Obr-Diile kennt kä Flüschtra. Hintr anra Brättr-Biig, i dr Nööche vo ma winziga Feeschtrle, erfindat si s Läba äfach neu.

Si mag s Raschla vo da Blättr, wenn widr a Sita di andr abwächslat. Si ischt mitta dinn inra Gschicht und säll an Tääl davo. Trommt vo ma Prinz, hot blooß ä Bitt: Schööne Händ muaß r hoo. Viilicht oo no a kliis Schlössle. D Fantasie lupft si uuf und treet si übra Dachboda himmlwärts. Da Schtärna ganz noo und d Näbl wit untr sich.

Tüüf i dena Trömm guat uufghoba, dr Morgaschtärn.

 

S Mittagässa schtooßt ära suur uuf. Guata Riibl, i Buttschmalz knuschprig grööschtat. Är macht Kline grooß und Schwache schtark. Sägan si. Schtarke Arma würt si hoo und a mächtige Schtimm. Rebelliara würt si gega des häämlig Uuhämmlig. Gegat Wörtr, wo ma nia is Muul nee därf. Mit da Schatta kunnt o scho widr uubändige Wuat krocha. Uf Zeha-schpitz. Zorn kiimat oft im Dunkla. A Nachtschatta-Gwächs.

 

Hohe Wälla schlacht dr See. Trüabs Wassr hüt. A ghöörigs Wättr im Anzug. Längscht läär, zrschällatt a dunkle Flascha a ma Felsa. Null Überlebenschance für s Aktions-Pickarle. Egal. Hauptsach billig. Uf am Schilf bliibt a Flaschaposcht henka. A dünne Papierrolla, wia dr Gääscht us dr Fläscha davoo koo. A Zeichnig mit abbrochnam Bleischtift, kritzlat vo Googa-Händ. An a Truurwiida läänat d Muattr, vrtäälat Blättr as Kind, wo vrschemmt nooch da Schtärna griift. Hintram Schtamm schpiilt Än vrschtecka. Is Bild traut sich nu sine knöchrige Hand, wo gääle Fingr mit schplittriga Kräbl sich in Schtamm ihi boran. Im Hintrgrund an klina See mit dunklam Wassr. Doch ganz häll a Seerosa-Knoschpa und uf ma Blatt an Frosch.

 

Di Klii trommt sich as Ufr. D Näblschwada löösan sich uuf. Doo a Liacht und dött a Liacht. S Zwitschra vo da Vögl durch des halb-offa Feeschtr mischt sich mit am frischa Morgalüftle. Awäck gschpüalat vo da Wälla s Rüafa vo da Graureier. Nu ab und zua a kurzas Krächza.

Si schpüürt widr Boda unter da Füaß. „Was gibt es Neues in unserem singenden, klingenden Österreich?“ Us am Radio Heinz Conrads Schtimm. Jeda Sunntig. Dazua o no Kirchaglogga. Di Heilig Mäss rüaft.

 

© Anni Mathes/Bludesch - A


Fantasie

 

Sie träumt sich ans Ufer, doch ein sicherer Hafen ist ihr noch nicht sicher, der Kleinen in ihrem viel zu großen, geblümten Pyjama. Sie sei nahe ans Wasser gebaut. Sagen sie, jene, die alles besser wissen. Gefangen in einem Strudel, der sie im Dunkeln oft hinunterzieht, verschwinden ihre  Kindertage in den Wellen. Hilfe. Keine in Sicht. Wohin sie auch blickt und Ausschau hält. Vergebens. Überall blinde Augen, taube Ohren. Sie zieht sich zurück. Jeden Tag ein wenig mehr. Die Sprache schon weit fort. Die Nacht ist am dunkelsten kurz vor dem Morgengrauen. Doch auf Dauer ist wohl jegliches Pech rabenschwarzer Nächte chancenlos. Das Morgenrot kommt, so sicher wie das Amen in der Kirche.

 

Trotz regt sich. Ein Samenkorn aufgewühlter Gedanken wächst in einer Schale unendlicher Stille. Geschwind zieht sie die Decke über den Kopf. Zudecken sei normal. Sagen sie. Was aber ist normal? Normal sei die Masse. Sagen sie.

 

Es ist nicht das Alleinsein, es ist ihre unendliche Einsamkeit unter vielen Menschen,  die ihr zu schaffen macht.

Sie muss nicht klagen, erlebt sie doch auch glückliche Augenblicke. Sie liebt den sicheren Weg der Sonne durch den Tag und malt Wolken, Schmetterlinge und Laufkäfer, sogar in die Luft. Sammelt verlassene Schneckenhäuschen. Möchte am liebsten hineinkriechen. Jedes Jahr im Mai bringt sie kiloweise Maikäfer aufs Gemeindeamt. Ihr erstes Taschengeld.

Sie kann sich am Nachmittag in den Vogelstimmen ganz verlieren und an besonders hellen Tagen nach einem Regen mit grünen Gummistiefelchen in die Wasserpfützen springen. Hell klingt ihr Lachen, wenn sie ein anderes Kind anspritzen kann.

Manchmal springt sie darüber. Stellt sich dabei vor, dass sie sterben müsste, wenn sie es nicht schafft. Fürchtet weder Tod noch Teufel, solange es hell ist.

 

Unheimlich ist aber nur das Krächzen der Graureiher, wenn sie die Nächte spalten. Unbeschreiblich sind jedoch jene dunklen Nächte, wenn das Pech der Nacht nicht an ihr vorbeizieht. Ausgeliefertsein hinterlässt Spuren.

Nacht für Nacht prallen unsichtbare Flaschen aufeinander. Flaschen, die es nicht gibt, auf ihrem Nachtkästchen, dem aus Kirschholz gefertigten. Zerbrechendes Glas  scheppert entsetzlich in die atemlose Stille. Finger mit den angeknabberten Nägeln bohren sich in ihre Ohren. Verrückte Kleine. Sie hat wieder geträumt, hat einfach zu viel Fantasie. Sagen sie.

 

Gerne ist sie tagsüber in ihre eigenen Geschichten versunken. In ihre Tagträume, vorsichtig unterstützt von ihrer Mutter. Eine verhärmte Frau, die trotz permanenten Geldmangels immer wieder ein Buch aus ihren Ärmeln zaubert. Sie weiß um die Liebe ihres Kindes zu Geschichten. Doch immer wieder sprechen die Wände: „Erzähle uns bloß keine Märchen“.

 

Nur der Dachboden kennt kein Flüstern. Dort, hinter einem Bretterstapel, ganz nahe am winzigen Fenster erfindet sie das Leben einfach neu.

Sie mag das Rascheln der Blätter, wenn wieder eine Seite die andere abwechselt. Sie ist Teil der Geschichte, wenn sie träumt. Zum Beispiel von einem Prinzen. Hat bloß eine Bitte: Schöne Hände muss er haben. Vielleicht auch noch ein kleines Schloss. Ihre Fantasie trägt sie hoch hinauf, weit über den Dachboden himmelwärts. Den Nebel weit unter sich, den Sternen ganz nahe. Gut aufgehoben in ihren Träumen, der Morgenstern.

 

Das Mittagessen stößt ihr sauer auf. Grießschmarren, in Butterschmalz knusprig geröstet. Er mache Kleine groß und Schwache stark. Sagen sie. Kräftige Arme wird sie haben und eine mächtige Stimme. Rebellieren wird sie gegen das heimliche Unheimliche. Gegen Wörter, die niemals in den Mund genommen werden dürfen. Mit den Schatten kommt auch schon wieder unbändige Wut gekrochen. Auf Zehenspitzen. Zorn keimt oft im Dunkeln. Ein Nachtschattengewächs.

 

Hohe Wellen schlägt der See. Trübes Wasser heute. Ein Unwetter in Sicht. Längst geleert zerschellt eine dunkle Flasche an unüberwindbarer Felsformation. Null Überlebenschance für das Aktions-Pickerl. Egal. Hauptsache billig. Auf dem Schilf bleibt eine Flaschenpost hängen. Eine dünne Papierrolle, entwischt wie der Geist aus der Flasche. Eine Zeichnung mit  abgebrochenem Bleistift, von Kinderhand gekritzelt. An eine Trauerweide gelehnt die Mutter, die Blätter verteilt an ein Kind, das verschämt nach den Sternen greift. Hinter dem Stamm spielt Einer verstecken. Ins Bild wagt sich nur seine knöcherne Hand, wo gelbe Finger mit splittrigen Nägeln sich in den Stamm bohren. In Reichweite ein kleiner See mit dunklem Wasser. Doch ganz hell eine Seerosenknospe und auf einem Blatt ein Frosch.

 

Die Kleine träumt sich ans Ufer. Nebelschwaden lösen sich auf. Erste Lichtsegmente. Wohltuend lassen fröhliche Vogelstimmen durch das halbgeöffnete Fenster die frische Morgenluft erzittern. Von den Wellen weggespült, der Ruf der Graureiher. Nur hin und wieder ein kurzes Krächzen.

 

Sie spürt wieder Boden unter ihren Füßen. „Was gibt es Neues in unserem singenden, klingenden Österreich?“ Heinz Conrads Stimme. Immer wieder sonntags. Mahnend die Kirchenglocken. Die Heilige Messe ruft.

 

© Anni Mathes/Bludesch - Österreich

 

Dieser Text wurde zur allgemeinen Sensibilisierung unserer Gesellschaft auch auf der Website des Vereins «Schmetterlinge» den Leser*innen zugänglich gemacht, einem Verein, der Betroffenen von sexualisierter Gewalt Hilfestellung und Begleitung anbietet.


Verein Schmetterlinge - Schütze dein Kind «mundartHunderter» 2022 an Anni Mathes
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